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Wie gesund ist mein Gehirn? Heute: Neues zu Long-COVID

Es gibt viel Neues zu Long-COVID, aber nicht nur Gutes, denn es ist leider kompliziert: Wir kennen mehr als 200 Symptome, 12 krankhafte Prozesse und 7 Ursachen.

Inzwischen wissen wir einiges mehr zu Long-COVID als in meinem ersten Blog vor einem Jahr bekannt war. Diese Neuigkeiten sollen nun hier zusammengefasst werden.

Zunächst die vielleicht beste Nachricht: Die aktuell dominierenden Omikron-Varianten (BA.4, BA.5 und XBB.1.5) entwickeln wahrscheinlich im Unterschied zu den ersten Alpha- oder Delta-Typen, wo von etwa 10% ausgegangen wird, nur noch in ca. 1 % der Fälle der insgesamt Infizierten ein Post-/Long-COVID-Syndrom. Diese Zahl ist jedoch nur geschätzt, da der Beobachtungszeitraum noch nicht ausreichend lang ist. Durch die erhebliche Ausbreitung der Infektionen – die Pandemie ist vorbei, wir sind inzwischen in der Endemie – bedeutet dies aber weiter eine hohe Zahl infizierter Menschen. Vor allem Menschen zwischen 36 und 50 Jahre sind betroffen. Wichtig: man kann genauso als Geimpfter von Long-COVID (“breakthrough infection”) betroffen sein! Zwar sind viele bereits vorher mehr oder weniger krank gewesen, dennoch, ein Drittel war wohl wirklich vorher gesund.

In vielen Untersuchungsprojekten werden die akut Erkrankten in drei große Gruppen eingeteilt. Je nach Schweregrad der anfänglichen Sars-CoV-2-Infektion wird in folgende Gruppen unterschieden: 1. milde Symptomatik, 2. stationär behandlungsbedürftig und 3. intensivstationär behandlungsbedürftig.

Ja, es ist – leider – sehr kompliziert: Wir kennen 203 verschiedene Symptome. Die häufigsten sind: Erschöpfung, Müdigkeit (“Fatigue”), Hirnleistungsstörungen (“Brain Fog”), Engegefühl, Schlafstörungen, Schwindel, Muskel-, Gelenk- und Kopfschmerzen, Herzrasen, Durchfall oder Geruchsverlust, um nur die häufigsten zu nennen.

Es ist zudem bekannt, dass schwerer erkrankte Hospitalisierte häufiger Organschädigungen, z. B. Herzmuskelentzündung, Krankheiten des zentralen oder äußeren Nervensystems oder Lungenkrankheiten, davontragen als die anderen Gruppen. Bedeutsam ist jedoch, dass auch milde, leichte Infektionssyndrome zu schwerwiegendem Long-COVID führen können, die ja z. B. von Leistungssportlern über die Presse geschildert wurden.

Immer jedoch sollte eine ausführliche, auch apparative Diagnostik zur Klärung der Störungen vorgenommen werden, bevor Symptome als Long-COVID eingeordnet werden.

Im Verlauf eines Jahres können sich die Symptome sehr wechselnd verhalten, verschwinden und auch wiederkehren. Dies gilt insbesondere für Kopf- und Muskelschmerzen, Hirnleistungsstörungen und Erschöpfungserleben.

Gemäß einer großen Beobachtungsstudie waren 85 % der Betroffenen noch nach einem Jahr krank, wenn diese zwei Monate nach der Infektion noch Post-COVID-Beschwerden hatten.

Es sind inzwischen 7 Ursachen (“causes”) bekannt:

  • das Immunsystem ist anhaltend fehlreguliert (“immune system dysregulation”)
  • Autoimmunität, d. h. der Körper produziert gegen eigene Eiweiße Anti-Körper, die eigentlich nur gegen äußere Eindringlinge (z. B. Viren, Bakterien) gedacht sind (“autoimmunity”)
  • anhaltende Virusabfallprodukte (“viral debris”)
  • Verharren von Sars-CoV2-Viren, die sich in verschiedenen Geweben, z. B. Darmschleimhaut oder Fettgewebe, verstecken können (“viral persistence”)
  • Organschädigungen durch Sars-CoV-2
  • Reaktivierung anderer, “schlafender” (latenter) Viren, die unser Körper normalerweise in Schach halten kann; typisches Beispiel ist eine Gürtelrose (“reactivated viruses”)
  • Zerstörung der gesunden Darmflora (Mikrobiom), d. h. eine Vermehrung von “schlechten” Keimen und Abnahme wichtiger, “guter” Keime, die erforderliche Stoffwechselprodukte herstellen (“disrupted microbiome”)

Bisher konnten folgende krankhaften Prozesse (“pathologies”) erkannt werden:

  • schlechter Sauerstofftransfer in den kleinen Endgefäßen
  • Minderdurchblutung des Gehirns
  • biochemisch-dysfunktionale Blutzellen, sodass z. B. Sauerstoffaufnahme und -weitergabe gestört sein können
  • dysfunktionale Stoffwechselprozesse, sodass erforderliche Produkte fehlen
  • dysfunktionale Mitochondrien, unsere Energiekraftwerke in jeder Zelle, die zu wenig ATP (Adenosintriphosphat), der unser überall erforderlicher Treibstoff ist, herstellen
  • Blut-Mikroverklumpungen in den kleinen Gefäßen, was zu gemindertem Blutfluss führt
  • Entzündungen der Kleingefäßwände (Endothelitis), was geminderten Blutfluss und einen gestörten Sauerstofftransfer verursacht
  • gestörte Immunprozesse im Sinne einer anhaltend abnormalen Aktivierung der Erstentzündungsreaktionen, deren Eiweiße (Zytokine) erhöht bleiben, obwohl dieser Abwehrprozess bereits vorbei ist
  • anhaltende Mastzell-Aktivierung (“MCAS=mast cell activation syndrome”) als spezieller Typ einer anhaltend fehlgeleiteten Immunreaktion
  • Autoimmunprozesse verschiedener Typen, d. h. Bildung unterschiedlicher Auto-Antikörper gegen Interferon, Phospholipid, ACE2, β2-adreno-, muscarinic M2- oder Angiotensin II AT1-Rezeptoren
  • Zerstörung der kleinsten Nervenendäste (“small fibre neuropathy”)
  • anhaltende Überaktivierung von Mikrogliazellen, spezifische Abwehrzellen im Gehirn, die störende Entzündungsprodukte weiter ausschütten, obwohl Sars-CoV-2 bereits nicht mehr da ist

Beschwerdebilder können grob in drei unterschiedliche Gruppen unterteilt werden:

  1. Erhöhte Intoleranz gegenüber Nahrungsmittel, Allergien, Kopfschmerzen, Hautprobleme, Atem- und Darmstörungen. Dies hat vor allem klinisch und physiologisch etwas mit einer Mastzell-Aktivierung  (MCAS) zu tun.
  2. Hirnleistungsstörungen (“Brain Fog”), Erschöpfung, Müdigkeit, Zusammenbrüche nach üblicher geistiger oder körperlicher Anstrengung (“Post Exertional Malaise”), auch emotionale Aktivität auslösende psychophysische Erschöpfung. Dies hat ursächlich vor allen eine Verbindung zu Stoffwechselstörungen.
  3. Herzrasen, Übelkeit, Schwindel, insbesondere beim Stehen oder Haltungswechsel, Schlafstörungen, Ängste, Brustkorbschmerzen, Sehstörung, gestörte Temperaturregulation. Dies hat funktionell vor allen mit einer Fehlfunktion des autonomen Nervensystems zu tun.

Prinzipiell kann jedoch jeder Erkrankte aus allen drei Bereichen Beschwerden haben, sodass ein sehr komplexes, “buntes” Krankheitsgeschehen nicht ungewöhnlich ist.

Therapieerfolge sind verständlicherweise aufgrund der erheblichen Komplexität der zugrundeliegenden Prozesse und Ursachen bisher gering, dies aber vor allem deswegen, weil für die verschiedenen Störungstypen keine klar messbaren Werte (Biomarker) vorhanden sind.

So gibt es zwar Hinweise auf Verbesserungen z. B. durch Antihistaminika, Pavloxid, Hyperbare Sauerstoff-Therapie, Infrarot-Sauna, Niacin, Antidepressiva, Schmerzmittel, neuropathische Schmerzmittel, Colchicin, Melatonin, Cannabidiol-Öl, intermittierendes Fasten, elektrische Vagusnervstimulation, Yoga, Kaltwasserschwimmen und Reizklima in Höhenlage oder am Meer. Jedoch sollte man diese Dinge immer nur in Absprache mit und Betreuung durch einen Arzt erwägen. Keine dieser Therapien ist jedoch wirklich und überzeugend gut gemäß den bisherigen Studien wirksam. Deswegen kann auch eine Kombination versucht werden; insbesondere, so meine positiven Erfahrungen, wenn es um nebenwirkungsarme Methoden geht.

Gleichwohl sind die besten Tipps von Betroffenen:
– Geduld haben mit sich und der Krankheit
– Akzeptieren der Beschwerden als “So ist das jetzt!”
– Belastungen anpassen, im Wohlfühlmodus bleiben (“pacing”)
– sich nicht zu Anstrengungen zwingen (“don’t push”)
– Vermeiden neuer Sars-CoV-2-Infektionen
– Impfempfehlungen folgen
– Ernährungsumstellung
– Nahrungsergänzungsstoffe

Ein aktueller Beitrag im Deutschen Ärzteblatt stellt sehr bemerkenswert die aktuell oft unwissenschaftliche, ja teils absurde, Diskussion zu Long-COVID dar.

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