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Wie gesund ist mein Gehirn? Heute: Long- und Post-COVID

Welche Schäden und Beeinträchtigungen COVID über die Akutkrankheit hinaus verursacht, ist ein wichtiges Thema. Nun haben wir erste Erkenntnisse, die Erstaunliches offenbaren. Dies ist wieder viel Neues aus der Neurologie und Neues für Karlsruhe.

  1. Was ist Long- und Post-COVID?
    Es handelt sich gemäß der WHO-Definition bei Long- und Post-COVID um sehr unterschiedliche, anhaltende oder auch neu auftretende gesundheitliche Beschwerden nach einer SARS-CoV-2-Infektion, die betreff Long-COVID länger als 4 Wochen nach der Akutphase oder bei Post-COVID länger als 3 Monate vorhanden sind. Dies kann nicht nur bei milder und moderater Akutkrankheit, sondern auch nach einer völlig asymptomatischen Infektionen auftreten. Gemäß dem Nationalen Aktionsplan für das Chronic-Fatigue-Syndrom (CFS) und Long-COVID, ein Forum von Betroffenen in Deutschland, das sich an die Politik wendet und von Forschungsstellen, z. B. der Charité in Berlin, unterstützt wird, gehen wir von einem Anteil von 10 bis 15 % der Infizierten aus. Wir kennen inzwischen mehr als 200 verschiedene Symptome, die im Zusammenhang mit diesem Krankheitsbild beschrieben werden. Die Hauptsymptome sind ein postvirales Fatigue, d. h. eine krankhafte Erschöpfung, mit Atemnot und neurokognitive Störungen im Sinne von Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, und zudem eine ausgeprägte physische und psychische Belastungsintoleranz. Dies wird “Post-Exertionelle Malaise” (PEM) genannt. Betroffene sind oft nicht mehr in der Lage, in gewohntem Umfang ihren Berufs- oder sogar Alltagstätigkeiten nachzugehen, ohne dass sich ihr Gesundheitszustand dadurch zwischenzeitlich verschlechtert. Deswegen sind übliche aktivierende Behandlungskonzepte hier ungeeignet und unpassend. Gemäß einer Studie in den USA in der 1. Welle von September bis November 2020 waren nach 6 Monaten 45 % der Long-COVID-Erkrankten nur in der Lage, Teilzeit zu arbeiten, und 22 % waren noch vollständig arbeitsunfähig. Erste Daten aus Israel deuten nun (04/2022) erfreulicherweise darauf hin, dass sich diese Folgeerkrankungen nach vollständiger Impfung und bei der Omikron-Variante deutlich an Zahl und Schwere abgemindert hat. Eine dänische Studie zeigte, dass Omikron im Vergleich zu Delta eine um 36 % erniedrigte stationäre Behandlungsbedürftigkeit aufweist. Die Häufigkeiten für Long COVID liegt bei 2 – 3,5 % bei überwiegend nicht hospitalisierten Kindern; neueste Zahlen, veröffentlicht vom RKI am 03.11.2022, gehen betreff der Prävalenz für Long-COVID-Symptome drei Monate nach einer SARSCoV2-Infektion mit intensivmedizinischer Behandlung von 43,1 %, bei Hospitalisierten ohne intensivmedizinische Behandlung von 27,5 % und bei Nicht-Hospitalisierten von 5,7 % aus.
  2. Hirnleistungsstörungen nach leichtem COVID?
    Die allermeisten COVID-Erkrankungen sind leicht und benötigen keine stationäre Behandlung. In Deutschland in der 2. Welle im Jahreswechsel 2020/2021 waren 77 % mild betroffen und 9,7 % hospitalisiert. Bei Älteren ab 80 Jahren ergaben sich erhebliche Unterschiede: nur 45 % hatten einen leichten Krankheitsverlauf, während 35 % einer Krankenhausbehandlung bedurften.
    Eine US-amerikanische Studie untersuchte nun den Verlauf der leichten COVID-Fälle in einem guten Studiendesign vorausschauend an 72 Erwachsenen zwischen 22 bis 65 Jahren (überdurchschnittlich ausgebildet 17 Jahre) in Texas im Zeitraum von Januar bis April 2021 mittels standardisierter Hirnleistungstestungen vergleichend durchschnittlich 3,8 Monate nach der akuten Diagnosestellung. Insgesamt verzeichneten 40 % Beeinträchtigungen der Hirnleistungen, am auffälligsten waren exekutive Störungen, Störungen der Aufmerksamkeit und der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit, wobei Männer deutlich häufiger betroffen waren. Dies passt zu bekannten Erkenntnissen, dass Entzündungsproteine (Zytokine) besonders die im frontalen Hirn arbeitenden Netzwerke, die mittels hohem Bedarf an Dopamin arbeiten, hemmen. Bemerkenswert ist, dass Jüngere ebenfalls etwas häufiger beeinträchtigt waren, was bedeutet, dass eine Subgruppe Jüngerer für Hirnleistungsstörungen und deren psychosoziale Folgen anfälliger, also “verletzlicher”, ist. Einschränkend ist anzumerken, dass die Daten leider ohne eine gesunde Kontrollgruppe zum Vergleich sind.
  3. Kognitive Störungen bei Älteren nach einem Jahr?
    Eine Kohortenstudie in China bei 3.233 COVID-19-Überlebenden im Alter von durchschnittlich 67 Jahren wurden im Anschluss an die stationär behandlungsbedürftige Akutkrankheit von Februar bis April 2020 nach sechs Monaten und einem Jahr betreffs der Hirnleistungen nachuntersucht. Vorbestehende kognitive Störungen, neurologische und andere schwere Krankheiten waren Ausschlusskriterien. Im Verlauf wurden die Ergebnisse leichter und schwerer COVID-Fälle mit einer nicht betroffenen Kontrollgruppe verglichen. Die gesamte Häufigkeit von neurokognitiven Störungen (Hirnleistungsstörungen) war nach 12 Monaten 12,4 %. Sehr bemerkenswert war zudem, dass milde COVID-Fälle sich nicht von den Kontrollfällen unterschieden. Bei den schwer Betroffenen entwickelten jedoch nach sechs Monaten 10 % eine Demenz und 26,5 % leichte kognitive Störungen, dies stieg nach einem Jahr weiter an auf 15 % mit Demenz, die Zahl der leicht Betroffenen blieb gleich. Dies bedeutet für schwer von COVID betroffene ältere Menschen eine über 7-fache Risikozunahme für jedwede Hirnleistungsstörungen und sogar eine 19-fache Risikozunahme für einen fortschreitenden Hirnleistungsabbau. Dies bedeutet weiter, durchaus beunruhigend, dass nicht nur mehr als 40 % Älterer nach einem Jahr beeinträchtigt sind, sondern zu einem Teil sogar einen fortschreitenden hirnabbauenden Prozess (Neurodegeneration) erleiden. Gemäß der bereits oben genannten Veröffentlichung des Rober Koch-Institut (RKI) heisst es: “Bei insgesamt 15,1 % der Menschen mit Long COVID bestanden die Beschwerden auch noch nach einem Jahr.
  4. Hirnabbau nach Sars-CoV2-Infektion und COVID?
    Diese Studie ging der Frage nach, ob es auch bei leichter Betroffenen einen maßgeblichen krankhaften Hirnabbau nach COVID gibt. Als Nebenuntersuchung einer bereits länger laufenden Untersuchung an Älteren der UK Biobank wurde unterschieden, welche Auswirkungen ein Sars-CoV2-Infekt haben kann, auch ohne dass die Menschen eine Krankheit bemerkten. Von 785 Beteiligten im Alter von 51 bis 81 Jahren wurden zwei Bildgebungen des Gehirns im Abstand von drei Jahren zwischen den Fällen (n=401), die eine Sars-CoV2-Infektion hatten, und Nichtinfizierten (n=384) verglichen. Es wurden sehr überraschende Ergebnisse gefunden. Die Erkrankten, davon nur 3,7 % schwer betroffen und stationär behandelt, zeigten (1.) eine größere Reduktion der grauen Nervendicke in den Gebieten des orbitofrontalen und im Bereich des parahippocampalen Hirnes; (2.) ausgeprägtere Zeichen für Gewebezerstörung in Regionen, die funktionell mit dem primären Riechzentrum vernetzt sind; und (3.) eine größere Minderung des gesamten Hirnvolumens. Dieser Hirnabbau korrelierte unzweifelhaft mit einer SARS-CoV-2-Infektion auch mit größerem Hirnleistungsabbau im Vergleich der beiden Untersuchungszeitpunkte. Die Ergebnisse waren unverändert, nachdem die hospitalisierten schweren COVID-Fälle von der statistischen Auswertung herausgenommen wurden. Diese Hirnveränderungen bestätigen zudem eine vorbekannte Erkenntnis, dass sich die Erkrankung nämlich oft über die Nase und das Riechzentrum zum Gehirn ausbreitet, also Folge von Entzündungsprozessen vor allem dort ist, die bekanntermaßen sehr oft mit Riechstörungen einhergehen. Ob diese beträchtlichen Störungen heilbar sind, andauern oder sogar im Verlauf weiter zunehmen, bleibt bisher unklar. In Anbetracht der vorher beschriebenen Studien muss jedoch zumindest bei einem Teil mit bleibenden Folgen und sogar einem Fortschreiten des Hirnleistungsabbaus bei weitergehender Hirnvolumenminderung gerechnet werden.
  5. Eine neueste, gute Zusammenfassung wurde im Oktober 2022 veröffentlicht: “The Long COVID Handbook” von Professor Gez Medinger und Professor Danny Altmann.
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